Eigentlich wollte ich ja nichts mehr schreiben, da ich dachte, wenn ich nach dem Motto: „Wenn man sich mal gar nichts vornimmt, was geschieht dann“, herangeht, nicht viel passieren wird und so ließ ich die letzten 6 Tage meiner zweimonatigen Reise ohne jegliche Erwartungen einfach an mich herankommen. Früher hätte ich davor vielleicht Angst gehabt, in ein Loch zu fallen, aber davon bin ich derzeit weit entfernt. Meine zweimonatige Reise, rund um die Welt, vor 27 Jahren war sicher härter. Damals konnte ich nicht einmal englisch, geschweige denn spanisch und so ließ ich mich die letzten Tage vom Geschehen um mich herum und der Lebenserfahrung, „dass eh alles anders kommt, als man denkt“, einfach treiben.
Am Flughafen in Port-au-Prince traf ich noch einen bayerischen Arzt und einen Krankenpfleger aus dem Rheinland, die für drei, beziehungsweise sieben Wochen, hier unentgeltlich für die Organisation Humedica, mit Sitz in Kaufbeuren, arbeiteten. Sie wurden von der Leiterin, die dort schon seit 17 Monaten arbeitet, herzlich verabschiedet. Es war sehr interessant, was sie mir alles erzählten.
Sie betreuten eine von bis dato 400 Cholerastationen im Land, die mittlerweile so verteilt sind, dass jeder Mensch sie in nur maximal ein paar Stunden erreichen kann. „Das sind meist nur Zelte mit insgesamt ca. 50 m². Man muss sich das als nichts Besonderes vorstellen“, sagten sie. Weiter erzählten sie, dass es bei ihnen immer ein bis drei Patienten gab, die in der Regel, wie bei einer Grippe nach ein paar Tagen entlassen wurden. Eine Frau ist in dieser Zeit gestorben. Cholera ist im Grunde sehr einfach zu bekämpfen. Bei 80 % der Infizierten bricht sie überhaupt nicht aus, oder sie merken es gar nicht, weil sie ein paar Tage Durchfall ja öfters haben. Von den 20 %, bei denen die Krankheit ausbricht, kommen wiederum 80 % mit dem Trinken von viel, viel Wasser versetzt mit Elektrolyten aus. Nur 20 % der Erkrankten brauchen Infusionen. Die Sterberate aller Infizierten liegt somit bei 0,4 %, rechneten sie mir vor. Angst sich anzustecken hatten sie keine. Das sei schließlich ihr Berufsrisiko, wie sie sagten. Jeder Arzt und jeder Mensch, der mit infizierten Menschen arbeitet, kann sich anstecken und ob nun einer Polizist, Bauer oder Zimmermann ist, schließlich hätte ja jeder ein Berufsrisiko. Man muss sich eben ständig die Hände waschen und auch die Schuhsolen desinfizieren, „denn man tritt ja auch in die Sch…,“ wie sie sagten.
Am Flughafen in Santa Domingo verabschiedeten wir uns, da sie ein paar Stunden später weiter nach Frankfurt flogen und ich wollte nur irgendwo an den Strand. Es war Mittagszeit. Am Taxistand traf ich „meinen“ Fahrer, der mich schon öfters fuhr und fragt ihn, wohin er mir empfehlen würde, zu gehen. Den Strand in der Nähe des Flughafens kannte ich schon und ich wollte an einen Ruhigeren. Er erzählte mir, dass er aus Santiago, der zweitgrößten Stadt der Dominkanischen Republik stammte und ich solle da seine Familie besuchen und dann weiter an die Nordküste nach Porto Plata gehen. Ich nahm das Angebot an und ließ mich von ihm zum Busbahnhof nach Santa Domingo bringen. Von dort fuhr ich mit einem klimatisierten Volvo-Bus für 5.- € die 160 km und vom Busbahnhof mit einem Taxi in den Stadtteil seiner Familie. Es ist nicht immer einfach mit dem ganzen Gepäck für zwei Monate, mit Klamotten für kalt und warm, dem ganzen Papierkram für die Häuser, Prospekten, Büchern und der doch nicht so kleinen Filmkamera.
Die Familie lebt zu sechst in einem winzigen Haus in einem Slumähnlichen Viertel und ist für unsere Verhältnisse sehr arm, so wie die meisten auf dieser Insel Hispaniola, erzählen sie mir. Die Miete kostet pro Jahr über 20 % des Wertes vom Haus. (Bei uns sind es ca. 3,5 %.) Strom fehlt meistens tagsüber und das Wasser in der Nacht. Sie füllen, wenn es Wasser gibt, dann eine 200 l Tonne, die fast die ganze Dusche einnimmt. Warmes Wasser gibt es nicht. Aber zugleich sind sie froh, überhaupt Wasser zu haben, denn manche haben überhaupt keines. Für das Wasser der Toilette gibt es einen Kanal, aber nicht für das Spül- oder Putzwasser. Das wird in Rinnen vor dem Haus gekippt und läuft offen durch die ganze Stadt.
Gelebt wird von der Hand in den Mund. Sie sind Weiße, Schwarze haben es in der Regel noch schwerer. Es lief aber ein zweijähriges schwarzes Mädchen herum, das von einer Prostituierten stammte, mit der die Frau früher zur Schule ging und die mit 28 Jahren bei der Geburt des Kindes starb. Was mich aber am meisten dort bewegte, war der Zusammenhalt der Menschen in diesem Viertel und die Herzlichkeit, die sie ihren Kindern entgegenbrachten.
Sie drängten mich, unbedingt eine Nacht zu bleiben. Da es schon spät war, blieb ich und versuchte auf dem kleinen Sofa zu schlafen. Am Abend war es sehr laut, von der ungeteerten Straße her und am Morgen waren es die Hähne, die einen den nahenden Tag ankündigten. Der Hahnenkampf, der „Stierkampf des kleinen Mannes“, ist hier weit verbreitet.
Ich merkte hier wieder mal, wie verwöhnt wir sind und wie selbstverständlich wir unseren Luxus leben. Das kann man aber nirgends nachlesen, das kann man nur erleben. Und trotz aller Herzlichkeit, die mir dort widerfuhr, ich wollte nur mehr weg und mich Duschen können und fuhr gleich am Vormittag, nachdem ich noch mit den Kindern in einem Supermarkt war und Dinge einkaufte, die sie sonst nicht bekommen, eine Stunde mit dem Taxi für 32.- € an die Küste und landete in einem Ressort von mehreren Hotels und Appartements, zwar alles aus Beton gebaut )-; aber dafür sehr ruhig. Ich freundete mich mit einem kanadischen Ehepaar an, mit denen ich gestern Abend mit trinkfreudigen Engländern und einem Deutschen aus Regensburg, der Gitarre spielte, an der Plaza saß. Ich merke auch immer mehr, dass ich dem Alleinsein (All eins sein) einiges abgewinnen kann. Außerdem kann ich in meinem Appartement auch die deutsche Welle empfangen und so weis ich wenigstens, dass Bayern nur 1:1 spielte, in Marokko der Teufel los ist, wir wieder mal einen Futtermittelskandal haben und Baby Dock nach Haiti zurückgekehrt ist. (-;
So schön diese Ressorts auch sind, irgendwie finde ich sie alle schrecklich. Fast alle Urlauber laufen mit den Bändchen am Arm, wie bei uns die Rinder auf der Weide, herum. Man kann daran erkennen aus welchem Hotel sie kommen und fast alle habe „al inklusiv“. Viele sitzen mit Alkohol am Strand und im Einkaufszentrum gibt es weder Obst, oder andere Lebensmittel, aber dafür viel Alkohol, Zigarren und Zigaretten, Kosmetikartikel und jede Menge Reiseandenken. Im Grunde genommen nur Müll.
Wo ich mich allerdings immer noch etwas schwer tue, ist das „nichts tun“ zu lernen. Aber, wie heißt es so schön, wenn Arbeit Spaß macht, dann ist es keine Arbeit und deshalb ertappe ich mich schon wieder beim schreiben. (((-;
Nach meinen Beobachtungen an mir selber und auch bei meinen Mitmenschen, stelle ich immer wieder fest, dass ein gesunder Körper immer viel Energie zur Verfügung hat. Durch das Abrufen dieser Energien finden wir letztendlich auch unsere Befriedigung und Ausgeglichenheit. Nach meiner Meinung ist das nicht Abrufen dieser Energien in den reich geworden Völkern wie dem Unseren, der Grund zur Unzufriedenheit und letztendlich der Anfang für ihren Abstieg. Ich denke, dass viele dieser Probleme und Unzufriedenheiten bei uns, mit einer dementsprechenden Unterforderung zusammenhängen. Das fällt mir besonders auf, wenn ich die Leserbriefseite überfliege, über was sich bei uns die Leute alles aufregen können. Sehe es aber trotzdem positiv, da es Energien abruft und sie friedlich kanalisiert. Jedenfalls habe ich am mir selber feststellen können, dass mir dieses „an die Grenzen gehen“, im Grunde genommen sowohl körperlich, als auch seelisch sehr gut getan hat. Ich schließe daraus, dass es mit dem „nichts tun“ offensichtlich doch so schnell nichts werden wird )-; (-; Talente soll man ja auch nicht vergraben, heißt es so schön, wobei wir dabei nicht in Selbstbewunderung verfallen, sondern uns ganz einfach als Werkzeug betrachten sollten. (Wobei ein bisschen „Egopflege“ uns auch nicht schadet und auch erlaubt ist!)
Hab mir überlegt, im Februar im Kulturbahnhof einen Vortrag mit Fotos über meine Erlebnisse, vor allem in Haiti zu halten. Bitte um Deine Rückmeldung, wenn Du Interesse hast.
Übrigens, Herr Linke aus Atzing, der meine Webseite einrichtete, war so nett, alle meine Berichte zusammen mit den Fotos (nächste Woche sende ich noch die Fotos von den letzten Berichten) ganz ordentlich dort unter www.hans-fritz.de aufzulisten. Falls es jemand im Freundes- oder Bekanntenkreis interessiert, kannst Du sie gerne weiterempfehlen.
Dann ein letztes mal alles Gute aus der Karibik, verbunden mit den Wünschen uns bald mal persönlich zu begegnen.
Ganz herzliche Grüße
Hans |