Die Bilder von Robert, dem Tropenarzt aus der Schweiz, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Die Liegepritschen der Cholerakliniken haben in der Mitte ein Loch unter dem eine Schüssel steht. Die schleimig gelbe Flüssigkeit kommt hinten und vorne raus, stinkt fürchterlich und wird in blaue 200 l Tonnen gekippt, die vorher Chlor beinhalteten, wovon hier sehr viel gebraucht wird. Es muss ja alles entsorgt und unschädlich gemacht und das Inventar, die Böden und ständig desinfektziert werden. Die Leute haben unheimlich Angst sich anzustecken, sagt Robert. Es hilft nur Aufklärung und Ausbildung. Er hat jetzt ein Team von Einheimischen ausgebildet, die nicht so an Hexerei glauben. Schlimm ist, dass manchmal die wieder Gesunden von ihren Familien oft als die Bestraften für ihre Sünden, anschließend geächtet werden. Die Woodoreligion und die amerikanischen Sekten leisten ihren Beitrag dazu.
Für 1000 Tote war auch „Verpackungsmaterial“ in den drei kanadischen Flugzeugen, die kurzfristig frei waren, um die 120 to Material, für 150 000.- € je Maschine, hier her zu bringen. Bei den an Cholera verstorbenen müssen alle Löcher verstopft werden, sagt Robert, weil das Zeug sonst überall raus läuft und wieder weiter anstecken könnte.
Man kann sich an Hand dieser Bilder die Situation in Europa vor ein paar hundert Jahren, als noch Pest, Cholera und Lepra bei uns wüteten und die Leute den Erreger und damit den Weg der Ansteckung nicht kannten und nicht wussten, was sie dagegen tun können. Wenn Menschen machtlos gegen einen unbekannten Feind sind, dann kommt auf der einen Seite die Flucht in die Religion und auf der Anderen der blinde Kampf gegen den Feind, der sich bei uns damals ja auch durch Verbannen in Leprahöhlen und Hexenverbrennungen entlud.
Der erste Besuch des Tages galt der deutschen Botschaft. Sie liegt in einer sehr guten Gegend, hinter hohen dicken Mauern. Die Fenster sind ausschließlich aus Panzerglas und zusätzlich gegen Einbruch gesichert. Der Botschafter, den Max auch gut kennt, entschuldigte sich, weil er wegen den vielen Veranstaltungen am Jahrestag, zum Richtfest nicht kommen konnte. Wir waren eine Stunde dort und redeten über die Schule und die Eigendynamik und Bürokratie der deutschen Entwicklungshilfe. Die bisherigen drei Organisationen in Deutschland, sind seit erstem Januar zusammengelegt, was sicher den Vorteil der Einsparungen und besseren Koordinierung, aber den Nachteil, eines noch größeren Apparates mit sich bringt.
Anschließend begann die Suche nach Baumärkten, doch leider gibt es die hier nicht, sondern nur wie früher bei uns, kleinere Spezialgeschäfte. Zumindest wusste Max keine und trotz ständigen Fragens, machten wir auch keine ausfindig. Eine Handkreissäge sowie eine Kappsäge haben 2 bis 3 Wochen Lieferzeit. Wenigstens fand ich ein Geschäft, das Bilder ausdrucken konnte, denn ohne diese hätte ich dem haitianischen Professor die Unterschiede nicht erklären können und er hätte sicher die falschen Maschinen gekauft. Diese Maschinen sind wichtig, da der Umgang mit ihnen zwar langsamer, aber einfacher und präziser ist und weil auch die Leute mit der Motorsäge nicht gut umgehen können. Ich habe ihnen zwar noch das Kettenfeilen, -wechseln und -einstellen, so wie das Filter reinigen gezeigt, aber die Handhabung braucht noch viel praktische Erfahrung und Gefühl.
Wie groß die Standesunterschiede in Haiti sind, ein Handy hat jeder. Ich konnte die Unterschiede aber sehr gut an Kleinigkeiten beobachten. Meine Arbeiter sagten, dass ein Haitianer von „meinem Stand“, niemals mit ihnen Arbeiten und Essen würde. Die Wirkung von Kleidung, war am Beispiel „Max“, auch sehr gut zu beobachten. Er ist immer bestens mit Sakko, die Hose mit perfekter Bügelfalte und täglich frisch polierten Schuhen gekleidet. Damit hat er fast überall freien Zugang und das Wachpersonal an den Eingängen sprang immer gleich zur Seite, wenn wir kamen. So zum Beispiel bei unserem Besuch im Krankenhaus. Max betreut eine Bekannte deren 13 jährige Tochter vor kurzem vergewaltigt wurde und die jetzt eine Vorbeugetherapie gegen Aids dort bekommt. Dabei kam ich, warum weis ich nicht, auch in die Säuglingsstation. Im Brutapparat lag ein 30 Wochen altes Frühchen. Es ist alles sehr einfach dort, aber sauber.
Unterwegs besuchten wir immer wieder mal Baustellen. Meist wird mit Stahlprofilen und Sandwichpanelen gebaut, ganz im Unterschied zu unserer natürlichen Bauweise, die aber dafür ein Termitenproblem haben könnte. Im Grunde geht aber alles viel zu langsam. Die Menschen werden noch Jahre in Zelten verbringen müssen. Es ist an manchen Stellen teilweise fast unmöglich, überhaupt den Schutt abzutransportieren, weil einerseits das Gelände zu steil für einen Maschineneinsatz ist und andererseits die Straßen und Kurven so dermaßen eng sind, dass größere Lastwägen gar nicht durchkommen. Außerdem gibt es viel zu wenige Maschinen, leistungsfähige Lastwägen oder Räumgeräte. Zusätzlich sind die Straßen ständig mit Autos verstopft. Wenn jetzt noch ein größerer Bauverkehr dazukäme, bräche der Verkehr möglicherweise total zusammen. Ist ja jetzt schon so, dass wegen den Abgasen nicht nur die Lunge streikt, sondern auch oft die Augen brennen. Die Zelte der Menschen stehen fast immer an der Straße. Sie haben dort nicht nur den ständigen Lärm zu ertragen, sondern auch die ständigen Abgase. Ich tröste mich immer, wenn es gerade bergauf wieder mal total stinkt und die Sicht nach vorne durch Abgase eingeschränkt ist, dass ich bald wieder bayerische Luft atmen darf, die ja noch besser als die Berliner sein soll. (-; In der Frage des Wiederaufbaus, diskutierten wir diese Woche auch mal, ob es nicht besser wäre, anstelle der 12 000 Soldaten, 12 000 Ingenieure, Baufachleute, Straßenplaner usw. ins Land zu holen. Höchstwahrscheinlich braucht man hier beides!
Der letzte Besuch dieses Tages galt dem besten Hotel der Stadt, dem Hotel Montana, oder besser gesagt dem ehemaligen Hotel. Mitten in der Stadt, auf der höchsten Stelle eines Berges mit Blick zum Meer und zum Hafen, vielleicht der schönste Platz in ganz Port-au-Prince, stand das fünfstöckige Hotel mit eigenem Hubschrauberlandeplatz. Dirk Günther von der Welthungerhilfe, der Schleswig Holsteiner, der zu Gerhard Polt verwandt ist, sagte ich solle die Eigentümer besuchen, da sie jetzt etwas aus Holz bauen wollen und der Mann ein Deutscher namens Riedl ist. Riedl, das hörte sich für mich gleich so bayrisch an. Das Restaurant und 11 Zimmer die nach unten in den Berg gebaut sind, stehen noch und haben auch mittlerweile wieder geöffnet. Ich fragte nach den Inhabern. Eine freundliche Frau mit etwas dunkler Haut, aber europäischen Gesichtszügen, etwa in meinem Alter, begrüßte uns in sehr gutem Deutsch. Sie studierte in München und arbeitete bei der Olympiade damals als Hostess. Dann heiratete sie den Zahnarzt Riedl aus Bad Aibling. Als ihr Vater älter wurde, trat sie zusammen mir ihrer Schwester das Erbe in Haiti an. Die Beiden brachten das Hotel immer mehr zum blühen und die Riedl´s pendelten regelmäßig zwischen Bad Aibling und Porto-au-Prince.
Der erste Schicksalsschlag ereilte die Riedl´s, als die Frau vor vier Jahren zwei Wochen lang in der Hand von Entführer war. „Das waren nicht sehr freundliche Profis und wurden leider nicht gefasst“, erzählt uns Frau Riedl. Ihr Mann hat daraufhin die Praxis geschlossen um mehr bei seiner Frau sein zu können.
Der zweite Schicksalsschlag war der 12. 1. 2010. Das Hotel stürze total zusammen. 70 Leute, hauptsächlich Gäste, kamen ums Leben. Darunter auch Frau Riedl´s beste Freundin aus München, die gerade zu Besuch war. Sie verloren 130 Zimmer, 150 Apartments und 10 Häuser. Das Hotel war zwar versichert, aber die Versicherung ist pleite, weil sie sich nicht rückversichert hatte. Die staatliche Aufsichtsbehörde hatte da zwei Augen zugedrückt.
Das schlimmste aber war, dass Frau Riedl fünf Tage verletzt unter den Trümmern ihres Hotels, lebendig begraben war. Die fremden Suchtrupps hatten schon aufgehört zu suchen, da konnte ihr Sohn, der intuitiv spürte, dass sie noch lebt, die einheimischen Feuerwehrleute überreden noch mal anzufangen und so musste sie nicht unter den Trümmern verdursten und verhungern. Sie ist wieder voll im Leben, aber man sieht es ihr irgendwie an. Ich nahm bei ihr so eine gewisse gütige wissende, bei all dem Schmerz aber lebensbejahende Ausstrahlung war.
Sie erzählte, dass sie zu dieser Feuerwehr jetzt sehr enge Kontakte pflegt und dass sie zusammen eine Stiftung gründeten und sie uns mit dieser Stiftung auch im Bezug einer Schule weiter helfen könnte. Viele Freunde in Deutschland haben sich auch bereits der Stiftung angeschlossen. Sie rief auch gleich Ihren Mann an, dass ein Bayer aus dem Landkreis Rosenheim da sei. Er kam auch nach einer viertel Stunde und wir freuten uns beide mal wieder richtig bayerisch zu reden. Unter anderem, dass, wenn er im März kommt, wir mal in den Kulturbahnhof essen gehen. Vielleicht kann ich dann eine Informationsveranstaltung zusammen mit ihm organisieren. Max stand daneben und verstand natürlich gar nicht mehr.
Trotz all der Mühen, die ich mir auftue, eines entschädigt mich immer, egal ob ich in einem Land Sägen einschule, oder Häuser baue. Es ist dieser enge sehr intensive und fast immer herzliche Kontakt mit den Menschen, auch den ganz Einfachen, zu denen man sonst nie einen Zugang hätte. Drei Tage mit Menschen zu Arbeiten, lässt einen wesentlich näher und von einer ganz anderen Seite an sie herankommen, als 3 Monate als Tourist herumzureisen. Ein nicht zu unterschätzender Lohn sind die leuchtenden Augen und die positive Welle, die einem entgegenkommt, sowie das Gefühl, den Menschen eine neue Richtung in ihrem Leben geben zu können! Da werden Erlebnisreisen immer uninteressanter und ich bin deren in letzter Zeit eher reisemüde geworden, denn mehr kann man ja kaum noch erleben. Ein gutes haben all diese Erlebnisse, es dämpft mal wieder für einige Zeit das Fernweh und stärkt die Erkenntnis, dass es „dahoam hoid do oijwei wieder an schensd´n is“! ((((((((((-;
liebe Grüße
Hans |