13. 1. 2011. Hatte gestern das kurze Zeitfenster, in dem mein Laptop Verbindung hatte, genutzt und den Bericht noch ohne Korrektur zu lesen sofort abgeschickt. Ich hatte leider keine Zeit mehr ihn vorher zu Überarbeiten, denn Max holte mich teilweise schon um 7 Uhr ab und am Abend war ich dann immer so todmüde, dass ich es nicht mehr schaffte. Als ich meinen Bericht dann heute Früh noch mal las, stellte ich fest, dass noch viele Schreib-, Satzbau- und Grammatikfehler im Text waren. Tut mir leid und bitte das zu entschuldigen.
Heute ist mein vorerst letzter Tag in Haiti. Max holt mich um 9 Uhr ab. Als erstes fahren wir zur deutschen Botschaft und wollen bezüglich Unterstützung, beziehungsweise Finanzierung einer Handwerkerschule sprechen und anschließend noch Baumärkte besuchen, um zu eruieren welche Baumaterialien, Werkzeuge und Kreissägen, hier zu bekommen sind.
Gestern, auf meiner alltäglichen Fahrt vom Hotel in Petion-Ville zur Baustelle, die je nach Staulage, mal 5 Minuten und mal eine Stunde dauern kann, wimmelte es geradezu voller schön gekleideter Menschen. Wir hielten noch an einer Bäckerei. Die Backwaren sind durchaus mit unseren vergleichbar. Vor dem Geschäft stand ein Mann mit Krücken dessen Knochen seines Unterschenkels zwischen Knie und Ferse offensichtlich nicht mehr zusammen gewachsen waren. Ich beobachtete, wie sein Fuß pendelte, als er sich bewegte. Scheinbar hatte er keinen Zugang zu einem Krankenhaus, das seinen Bruch durch Gipsen oder Schienen hätte ruhig stellen können. Mein Übersetzer-Arzt erzählte mir unter anderem, dass leider auch sehr viele unnötige Amputationen vorgenommen wurden und dass er die Zahl der Toten mindestens auf das Doppelte der offiziellen Zahlen schätzt, also mindestens 500 000, denn viele Menschen haben ihre Angehörigen selber irgendwo beerdigt, da die Friedhöfe auch völlig überfüllt waren. Bei fast 30 Grad am Tag und mindestens 23 in der Nacht, musste ja alles schnell gehen. Geschweige denn von den Toten die noch unter den Trümmern liegen. Peter Burghard besuchte am letzten Tag vor seiner Abreise auch noch ein Fußballspiel von Amputierten. Man sieht auch oft amputierte Menschen am Straßenrand. An diesen Einzelschicksalen kann man sich das Chaos vorstellen, das nach dem Beben herrschte. „Die Toten sagten ja nichts mehr, aber nichts tun zu können gegen das Jammern und Schreien der Verletzten, war so schlimm“, sagte der sonst so absolut gelassene Max und, dass er so etwas nie mehr erleben möchte. „Du steigst über Tote“, sagte er zum Schluss. Am Nachmittag um 16 Uhr 53, bei unserer Gedenkfeier im Holzhaus, sprach einer ein Dankgebet, dass sie unverletzt überlebt haben. Das wird bereits als großes Glück betrachtet.
Die Bauweise der meist zwei- oder dreistöckigen Häuser besteht aus Betonsteinen mit Betondecken. Fast jedes bessere Haus hat auch ein Flachdach aus Beton, da scheinbar immer schon Bauholz fehlte. Die Armen leben unter Blechdächern. Die ca. 300 000 eingestürzten Häuser sind zusammengefallen wie Kartenhäuser und nur mehr ca. 1,5 bis 3 m hoch. Die Innen- und Außenwände sind nur noch Schuttberge, auf denen die zwei oder drei zerborstenen Betondecken liegen, dazwischen ist ab und zu noch ein Teil eines kaputten Möbelstückes sichtbar. Die Erdbebenwellen müssen oft sehr unterschiedlich stark nebeneinander gelegen haben, denn manchmal sieht man neben zusammengestürzten Häusern, wieder ganz Unbeschädigte.
Am Vormittag machte ich mit den Männern noch ein paar kosmetische Kleinigkeiten am Haus und ließ dem Max das Schild mit dem Aufdruck „Serra Haus“ annageln. Seinen einzigen Nagel den er am Haus einschlug. Am Nachmittag kamen sehr viele Leute, auch aus der besseren Mittelschicht, was man an ihren Autos und Kleidern erkennen konnte, darunter der erste Sekretär der deutschen Botschaft Oliver Thomas Jüngel, sowie der Leiter der Welthungerhilfe Dirk Günter, den ich mittlerweile schon das dritte mal traf, mit seinem Abteilungsleiter für das Bauwesen, Frederico Motka.
Das Interesse an den Häusern ist noch größer, als ich erwartet hatte. Dabei sind die Qualitätsanforderungen niedrig. Dass der Motorsägenschnitt nicht so genau, die Bretter ungehobelt und der Fußboden ohne Nut und Feder sind, stört hier niemanden. Voraussichtlich wird aber das Problem auftauchen, dass die Nachfrage durch das fehlen von Facharbeitern nicht ausreichend befriedigt werden kann. Gestern verteilte jemand im Hotel Infomaterial über ganz einfache Häuser einer Stahlbaufirma aus Florida. Die Häuser sind sehr billig, haben 18 m² und sind aus Stahlblechprofilen und Kunststoff. Aber was haben die Leute davon, wenn ausländische Arbeiter hier her kommen, während Millionen arbeitslos sind. Sicher ist ein schneller Aufbau sonst nicht möglich und es geht momentan nicht anders, aber langfristig müssen die Leute das selber in die Hand nehmen. Dadurch könnten auch Energien von Aggressionspotential der Menschen ins Positive umgeleitet werden. Wer die stolzen und leuchtenden Augen der Arbeiter gesehen hat, weil sie mit eigenen Händen was geschaffen haben, sieht die Leute in einem ganz anderem Licht, als uns die ständigen Negativberichte, über Mord, Raub und Vergewaltigungen suggerieren. Mir wurde hier mal wieder die Macht der Medien bewusst. Es ist verständlich, dass gewinnorientierte Firmen das Fachwissen lieber in ihren eigenen Reihen halten. Ich bin sicher dem Geld verdienen auch nicht abgeneigt, sonst könnte ich mir, das hier zu tun, nicht leisten, aber ich finde dass sich das soziale Engagement und die Gewinnorientierung immer die Waage halten sollten. Auch mal mit dem Risiko, dass ein Geschäft verloren gehen kann. Es kommt dann ganz wo anders wieder rein.
Es ist noch Morgen und ich bin mit dem Bericht noch nicht fertig, aber ich nutze das Mailfenster um ihn gleich abzusenden.
Robert sitzt neben mir am Frühstückstisch und sagte mir gerade, dass das was er mir erzählte nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, da die ganzen Informationen nur über das schweizerische rote Kreuz raus gegeben werden. Er könnte sonst Probleme bekommen. Gestern Abend hatte er mir noch Bilder aus der Choleraklinik gezeigt, die man sonst nie zu sehen bekommt. Er sagt selber, dass er eine Vobie hat und sich alle halbe Stunde die Hände mit Alkohol desinfiziert. Es muss unheimlich emotional sein, was er erlebte.
Liebe Grüße Hans
P. S. Fotos gibt’s erst Ende Januar, wenn ich wieder daheim bin. |