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Meine Reiseberichte
Mittelamerika 2010/2011 - 11. Bericht    - mit Fotos -

Haiti Januar 2011 - Bericht 3 aus Haiti


Sonntag, 9. 1. 2011
. Es ist interessant, wie weit Chile im Kopf schon wieder entfernt ist. Dabei sind es erst 4 Tage seit meiner Abreise. Uli und Antonie, gute Freunde, die 400 km weiter nördlich von Villarrica wohnen, haben mich noch ein paar Tage besucht und  ihre Rückfahrt auf Mittwoch morgen gelegt, damit sie mich noch in Temuco am Flughafen, der auf ihrem Heimweg liegt, abliefern konnten. Uli war Zahnarzt in der Oberpfalz und besuchte vor seinem Chile-Ausstieg vor 12 Jahren bei mir ein Bauseminar, worauf er dann sein Haus in Antuco selber baute. Die Straßen sind in Chile sehr gut und die Autobahnen durchaus mit unseren vergleichbar, nur dass auch Traktoren fahren, Fußgänger über die Fahrbahn laufen und ab und zu auch mal einer mit dem Pferd entlang reitet.

Nach drei Flügen, mit einer, sechs und zwei Stunden, mit entsprechenden Zwischenaufenthalten in Santiago und Panama, kam ich dann gut in Santa Domingo um 22 Uhr an. Leider aber nicht mein Koffer. Ich bekam ihn Gott sei dank einen Tag später. In Chile hatte ich die letzten Tage ziemlich Kopfweh. Hab scheinbar die Sommergrippe dort aufgeschnappt. Das wurde dann in Santa Domingo noch schlimmer und ich entschied nach zwei Tagen Aufenthalt dort und kurz vor dem Abflug nach Haiti, doch die Antibiotika einzunehmen, die ich profilaktisch auf Empfehlung eines Deutschen der in Afrika lebt, als zusätzlichen Schutz gegen Cholera, dabei hatte. Ich fühlte mich so dermaßen schlecht, dass, wenn jemand zu mir gesagt hätte „jetzt wird gestorben“, ich mich nicht mal mehr gewehrt hätte. Nur, ich hatte „das selbe Glück“ wie drei Tage zuvor, dass mein Koffer wieder nicht mit kam. Kann jetzt leider nicht weiter einnehmen, da natürlich alles im Koffer ist. Max leiht mir Kleidung und Seife gibt’s im Hotel. Das Handy schalt ich immer aus, denn ich kann natürlich auch kein Gerät mehr laden. Die Zähne sind schon ganz rau und die Bartstoppeln lang. Leider kam der Koffer heute auch nicht an, obwohl es hieß, dass er noch Nachmittag mit der Maschine aus Florida käme. American Airline, mehr sog i ned!

Ich flog mit sehr gemischten Gefühlen nach Haiti rüber, aber mein Köper erholte sich erstaunlich schnell und es war alles wie weggeblasen. Es ist schon ein Phänomen, wenn ich Druck habe, geht es mir gut und bin fitt, wenn ich mich aber mal ein paar Tage fallen lassen kann, dann holt sich der Körper sein Recht auf Ruhe. Scheinbar bin ich mehr für die Arbeit erschaffen und muss das nichts tun erst noch lernen. Das ist offensichtlich schwerer als man denkt. Ach ja denken, an Cholera denke ich gar nicht mehr.

Porto au Prince ist sicher nicht anders als vor einem Monat, aber ich nehme es anders war und da ich schon das zweite mal da bin, stellt sich kein Schock mehr ein, da ich wusste, was auf mich zukommt. Unten in Meeresnähe befindet sich auch der  beschädigte Flughafen, da das Gelände dort noch flach ist. Weiter stadteinwärts wird es immer hügeliger und dann auch ziemlich steil. Die Häuser kleben oft wie die Schwalbennester an den Hängen.

Wir fuhren sofort Berge rauf zum Haus von Max, neben dem das erste Haus gebaut werden soll. Immer wieder vorbei an  Zeltstädten. Ich dachte immer, wenn die Leute keine Häuser mehr haben, dass sie dann irgendwo auf einer grünen Wiese, auf einer Art Zeltplatz leben. Aber erstens gibt es keine grüne Wiese bei den vielen Bergen und zweitens sind das ja Stadtleute, die wollen nicht raus aufs Land und ihr soziales Umfeld verlassen. Vergleichbar mit München, wäre sicher die ganze Theresienwiese und er englische Garten voller Zelte, - nur dass es in Porto au Prince keine so großen Flächen gibt und deshalb sind diese Zeltlager, in denen immer noch über eine Million Menschen leben, oft nur 100 auf 200 m groß. Bei uns gäbe es in so einem Fall schnell soziale Hilfe, aber im ärmsten Land der nördlichen Hemisphäre gibt es kein Sozialwesen und leider auch ein „unzureichendes Verteilerwesen“. Und so leben die Menschen auch ein Jahr nach dem Beben ohne Wasser, Abwasser oder Strom. Dass sie hier trotzdem so friedlich und fröhlich sind, grenzt für mich schon fast an ein Wunder.

Am Haus von Max, dem chaotischen, völlig unrealistischen und zugleich liebenwertem Professor, oder besser gesagt, neben seiner Ruine, warteten bereits 25 schwarze Männer um gleich anzufangen. Ich bin sehr angenehm überrascht, wie gut die meisten mitdenken und wie lernwillig und intelligent sie sind. jedenfalls besser als die Indianer in Guatemala. Unter den Schwarzen fühle ich mich ganz wohl, bin ich ja gewohnt, hatten ja schließlich in Bayern auch mal über 60 % davon ((-;

Der Bau läuft gut und geht zügig voran. So wie es aussieht werden wir locker bis Dienstag Abend fertig. Am Mittwoch ist dann der erste Jahrestag des Erdbebens, er wurde als Gedenktag erklärt und es wird nicht gearbeitet. Wir haben uns heute entschieden an dem Tag ein Richtfest zu veranstalten. Als Hoffnungsschimmer für den Wiederaufbau. Max will alle wichtigen Leute einladen. Unter anderem auch den Deutschen Botschafter und Günther, den Leiter der Welthungerhilfe, den ich ja das letzte Mal schon kennen lernte.

Hier in dem alten Kolonialhotel Kinam in Petion Ville, wimmelt es geradezu von Journalisten und Fernsehleuten. Unter anderem lernte ich auch Peter Burghardt, den Korrespondenten der Süddeutschen für ganz Lateinamerika, kennen. Er lebt seit 4 Jahren in Buenos Aires. Ein ganz cooler Typ. Er will unter anderem auch einen Bericht über meinen Hausbau schreiben und morgen mit auf die Baustelle kommen. Er erzählte mir, dass er heute beim „Papst“ der Woodoreligion war, ein sehr vernünftiger Mann, wie er sagt. Ganz schlimm aber sind die Amerikanischen Seelenfänger die die Notlage der Menschen ausnützen und stark „am Fangen“ sind. Peter war heute auf einer Veranstaltung mit 20 000 Menschen und der Prediger sprach nur über die Sünden der Haitianer die mit dem Erdbeben bestraft wurden. Es muss ziemlich übel gewesen sein. Ist sicher alles in den nächsten Tagen in der Süddeutschen zu lesen. Unter anderem erzählte er, dass er auch kurz nach dem Erdbeben hier war. Es war unbeschreiblich, was er damals Tote sah und wie bestialisch die ganze Stadt noch Verwesung stank. Niemand weiß wie viele wirklich umgekommen sind und wie viele noch unter den Trümmern eingeschlossen verhungerten. Sicher sind auch noch zehntausende von Leichen unter den eingestürzten Häusern, meint er.

Was mich sehr bewegte war, dass einer der Männer mich über den Dolmetscher fragte, ob ich nicht so was ähnliches wie eine Berufsschule, hier gründen könnte. „Was hilft uns das ganze Geld das uns die Leute angeblich schickten und das nicht bei uns ankommt. Wenn wir uns aber selber helfen könnten, mit einer Ausbildung von Dir, dann wären wir nicht auf Andere angewiesen“, sagte er. Wir diskutierten hinterher darüber und ich sagte, dass ich mal mit der Rosenheimer Fachhochschule darüber reden werde. Und in der Tat, egal in welches Land ich jetzt kam, der Weg in die Freiheit führt nur über die Ausbildung.

Leider kann ich in diesem Hotel den Bericht nicht absenden, da ich nicht ins Internet komme. Aber wie groß ist das  Problem, denke ich mir dann, wenn ich auf der anderen Straßenseite auf die „andere Welt“, auf eine Zeltstadt blicke?

Dienstag, 11. 1. 2011. Ein wunderschönes Gefühl sich mal wieder die Zähne zu putzen, zu rasieren, das Handy und die Kamera zu laden, sowie meine eigenen Schuhe und Klamotten zu haben. Mein Koffer kam nach 3 Tagen an (((-;

Mit der Baustelle kamen wir ziemlich weit. Wir sind schneller als in Guatemala. Ich habe gestern nicht gearbeitet, sondern geschuftet! Das Problem ist nur, dass ich ständig 25 Männer um mich rum habe und die alleine nichts machen können. Bei manchen Arbeiten, wie z. B. Bretter an die Wand, dem Dach, oder den Boden nageln, kann ich sie wenigstens in zwei bis drei Arbeitsgruppen einteilen. Eine auf dem Dach und die anderen jeweils an einer Giebel- oder Traufewand. Ich springe aber dann ständig zum kontrollieren hin und her und zeige auch wie es richtig gemacht wird. Bei den Spezialarbeiten, wie etwa die Konstruktion des Terrassendaches, oder der Treppe, kann ich die Ungelernten aber überhaupt nicht brauchen. Gott sei Dank, habe ich aber ein paar Zimmermänner oder Schreiner. Die Anderen stehen dann ständig im Weg und halten nur auf. Mit der Kettensäge, muss ich sowieso alles selber schneiden, da die Präzision einzuhalten damit wesentlich schwerer ist, als mit einer Kapp- und Besäumsäge, aber ich bin eben damit viel viel schneller und andere Sägen hätte ich sowieso nicht zur Verfügung. Außerdem fällt regelmäßig der Strom aus. Gott sei Dank, habe ich das wichtigste Werkzeug, unter anderem eine kleine Motorsäge, ein gutes Zimmermanns-Winkeleisen und eine Alu-Auszieleiter mit in den Container geladen.

Ich sagte, dass ich jetzt nicht mehr so viele Leute brauchen kann, woraufhin sie mich baten, wenigstes weiter zuschauen zu dürfen, denn sie wollen lernen. Mein Übersetzer, ein Arzt mitte 60, der in Deutschland studierte und jetzt nicht mehr praktizieren kann, da seine Praxis auch einstürzte, ist mehr mit dem Einsammeln der krummen Nägel (da die gerade geklopft auch wertvoll sind), als mit dem Übersetzen beschäftigt. Außerdem ist er die meiste Zeit nicht da und Max kann ich als Übersetzer sowieso ganz vergessen. Meine Skepsis gegenüber Studierten frischt er gerade wieder neu auf (-; Einer kann noch ein wenig spanisch und sonst wird mit deuten, zeigen oder malen verständigt.

Die Männer kommen aber auch wegen dem Essen, das man hier für das Mitarbeiten bekommt. Es ist ganz einfach. Entweder Reis mit ein paar Bohnen drin, oder Nudeln. Dazu ein wenig Soße aus Öl und Kräutern oder Ketchup . Geld gibt Max nicht. Am Sonntag war die Köchin überfordert und deshalb gab es dann erst um 16 Uhr 30 das Mittagessen. Max sagte ich soll nicht im Hotel Frühstücken, sondern bei ihm. Wenn ich dann dort bin, denkt es natürlich nicht mehr daran. Wasser trinke ich Literweise, denn ich schwitzte den ganzen Tag und der Schmutz und das Sägemehl verklebt dann so „angenehm“ mit dem Schweiß auf der Haut unter dem Hemd. Mit der Motorsäge arbeite ich deshalb auch nicht mit Stahlkappenschuhen und Schnittschutzhose, sondern mit Sandalen und kurzer Hosen (-;

Peter Burghardt war auf dem Weg zum Flughafen auch noch an der Baustelle und fotografierte und recherchierte. Bin gespannt ob die Süddeutsche unter „bayerisches Holz für Haiti“, was bringt.

Habe am Abend in Hotel gerade  den Schweizer Arzt und Tropenkrankheiten Spezialisten Robert Keusen kennen gelernt, der für die Schweizer Regierung diese Woche 120 Tonnen Choleramedikamente  inklusive einer mobilen Klinik eingeflogen hat. Er ist 57 macht seit 33 Jahren diesen Job auf der ganzen Welt. Derzeit lebt er in Tansania. Geht aber in drei Monaten in die Schweiz zurück. Er half mir meinen Computer wenigstens ein wenig auf Vordermann zu bringen. Hoffe der erste Teil geht jetzt durch. Könnte schon wieder viel mehr schreiben.

Mittwoch, 12. 1. 2011. Robert hat es leider auch nicht geschafft. Wollten uns zum Frühstück treffen und weiter probieren. Nutze gerade die Zeit zum Schreiben bis er kommt. Er meint, dass ich einen Blocker, oder einen  falschen Filter drin habe, wodurch mein Laptop ständig von den anderen Laptops rund um mich gestört wird. Er verbindet mich zwar mit dem Netzwerk, kann aber meine Mails nicht öffnen.

Wir redeten gestern den ganzen Abend. Er sagte diese Journalisten um uns herum sind doch alles nur „Sensationshascher“, die wissen ja gar nicht was hier wirklich passiert, einschließlich die vom ZDF die gerade mit einem Team von gleich 7 Leuten da sind. Die Frage was das kostet,  haben sich auch Peter und ich schon gestellt. Na ja, dann werden eben wieder mal die Rundfunkgebühren erhöht. Die meisten tummeln sich nur in der Stadt. Robert kommt im  ganzen Land herum. Er zeigte mir auch tolle schwarz weis Fotos, die er für national Geografik macht. Er erzählte einen Fall, wie ein Junge, bereits im Koma liegend, eingeliefert wurde. „Da spürst du nirgends mehr einen Puls und weist nicht, wo  du die Infusionsnadel setzten kannst“, sagte er. Er hat sie dann bei einer Kopfvene gesetzt und konnte ihn retten. Bei einer alten Frau liefen 22 Infusionsflaschen hinten genau so wieder raus, wie von den Flaschen rein. Dann plötzlich war es durch und sie schlug die Augen auf. Das alles erzählt er mit leuchtenden Augen. Aber es gibt auch die anderen Dinge. Die 54 gestobenen Kinder in den Plastiksäcken wollte niemand mehr „entsorgen“. Erst mal wegen der Ansteckungsgefahr und zweitens wegen ihren Woodo Glauben. Sie denke dann, dass man sich ebenfalls an ihnen Verhexen könnte. Das ging in einem Fall mal so weit, sagte Robert, dass er zwei 6 und 7 jährige Kinder Retten konnte, aber die Eltern gaben ihnen nichts mehr zu trinken. Nach 5 Tagen sind sie gestoben.

Man sagt hier, 60 % sind Katholiken, 40 % Evangelisten oder Baptisten, aber 100 % sind Woodo. Es ist so eine Mischreligion wie ich sie auch schon in Guatemala erlebte. Aber die haben wir ja auch, nur dass wir es nicht mehr wahrnehmen, oder wissen, weil diese Kompromisse der Missionierung bei uns schon 1200 Jahre zurück liegen.

Liebe Grüße


Hans

12. Januar 2011

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