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Meine Reiseberichte
Mittelamerika 2010/2011 - 2. Bericht    - mit Fotos -

HAITI - ERLEBNISSE - 1. Reisebericht aus Haiti
Was haben wir derzeit gemeinsam mit einem Bauern der wegen dem ständigen Regen seine reife Ernte nicht einbringen kann, oder einem Austronauten, dessen Weltraumstart zum dritten mal verschoben wird, gemeinsam ? Keinen ! Wir warten, scharren wie ein Ackergaul der eingespannt vor dem Pflug steht, mit den Hufen und werden zunehmend frustrierter. Aber nicht das Wetter oder technische Probleme sind der Grund dafür, sondern der Zoll, der unseren Container nicht freigibt.

Dabei hat alles so hoffnungsvoll begonnen. Der Container kam am 18. Oktober hier an. Unser Kontaktmann, der wirklich liebenswürdige Professor für Antropologie und Politikwissenschaft, Max Paul, der 14 Jahre in Deutschland lebte und auch gute Beziehungen zur Politik hier hat, versicherte uns, dass er maximal eine Woche brauchen wird, den Container aus dem Zoll zu bekommen. Am 23. Oktober starteten wir in München, geimpft gegen Cholera und den gut gemeinten Warnungen unserer Freunde "passt gut auf, auf Euch" (was wir aber auch ohne diese guten Ratschläge tun würden). Aber es freut einem trotzdem, weil der Unterton dieser Floskel ja das Mitgefühl und die Sorge um uns ausdrückt.

Aus den maximal zwei Tagen, die wir in der Dominkanischen Republik verbringen wollten, wurden dann schon mal sechs. Den Versicherungen von Max vertrauend, flogen wir dann in 45 Minuten mit einer Propellermaschine der American Airline am 30. 11. Vormittag hier rüber und jetzt heißt es jeden Tag wieder, "morgen"!

Bei der Einreise am Flughafen, dessen Mauern auch Risse aufweisen, waren wir schnell durch. Wie arm die Menschen hier sind, konnten wir das erste Mal beim Herausgehen feststellen. Ein ganzer Pulk von Männern wollte gleich unser Gepäck tragen. Sie kämpften nahezu aggressiv darum. In den Straßen, wimmelt es voller Menschen. Am Straßenrand ein kleiner Verkaufsstand am anderen. Der erste Eindruck vom Flughafen zum Quartier war, dass hier gar nichts zerstört ist. Auf der ca. 20 minütigen Fahrt sahen wir "nur" ein zusammengefallenes Haus. "Unser" Gasthaus, ein Betonbau hat keinen einzigen Riss und ist wie eine Oase, geschützt mit hohen Mauern in einem Armenviertel. Aber wir wollen ja was tun und nicht in einer "Oase" rumhocken.

Die Autos sind fast ausschließlich alle verbeult, stinkig und alt. Die Straßen sind meistens verstopft. Es gibt auch keine Busse und schon gar keine Bahnen. Der Personentransport läuft ausschließlich über Pickups mit Käfigaufbauten in denen nicht selten 10 bis 15 Menschen zusammengepfercht sitzen oder stehen. Ampeln sind ganz selten und so fährt jeder einfach in die Kreuzung und kommt dann, nach meist langen Staus, irgendwie durch.

Am Nachmittag kam Max und sagte sein Entzoller sei unterwegs und es wird schon werden. - Dann war der Tag gelaufen.

Am nächsten Tag rührte sich erst mal gar nichts. Als ich Max dann anrief, bat er uns ein Taxi zu nehmen und zu ihm zu kommen. Die eineinhalbstündige Fahrt mit dem alten Ding war alleine schon ein Abenteuer. Ständig ging der Wagen bei den Schlaglöchern und den künstlichen Bodenwellen, die einzige Möglichkeit gegen Raser, "auf Grund" und zweimal mussten wir aussteigen und schieben.

Max schläft seit dem Erdbeben nachts in einem Zelt neben seinem Haus. Das Haus steht noch, ist aber praktisch kaputt. Der 65jährige ist Idealist und ein "Stehaufmann". Er tut mir leid, da ihm das Schicksal in seinem Leben bereits hart zusetzte. Vor 3 Jahren wurde eine seiner beiden Tochter entführt. Sie war 43 Stunden mit schweren Schussverletzungen in der Hand der Entführer. Hat aber überlebt. Für 30 000.- US wurde sie dann frei gepresst. Die Entführer wurden gefasst und zu Lebenslang verurteilt. Allerdings ist das Gefängnis beim Erdbeben auch zerbrochen und sie sind geflohen. Wegen diesem Schock haben seine deutsche Frau und die Töchter Haiti verlassen und jetzt hockt er alleine mit seinem geborstenem Haus in diesem "Höllen-Paradies"! Während des Erdbebens leitete er gerade eine Sitzung in der Uni. "Es ist nur Angst", sagt er, was du da fühlst. Er presste sich an die Wand, die Gott sei dank nicht einstürzte. Den Rest des Tages und die darauf folgende Nacht war er dann bei seinen Stundenten um sie zu beruhigen, da ja keiner weiß ob es vorbei ist, ob es noch schlimmer komm, was er tun soll und wo er hin soll.

Mit Max zusammen besuchten wir dann den Sitz der Welthungerhilfe. Er kennt den Direktor Dirk Günther, den wir ja ein paar Tage vorher auch schon in Santa Domingo trafen, bereits seit 15 Jahren. Lustigerweise ist er, obwohl er aus Schleswig Holstein stammt, ein Verwandter von Gerhart Polt. Wir hatten ein sehr gutes Gespräch. Beim Thema Korruption sagte er, dass im Grunde die Europäer schuld daran sind, da sie die Leute verdorben haben. Das in das Land einführen von Waren wird leider von "führenden" Geschäftleuten, die die Macht haben, oft sehr behindert, weil dadurch ganz einfach die Konkurrenz nieder gehalten wird, oder dadurch gezwungen, "lokal" einzukaufen. Sie haben selber Container mit Anticholeramaterial im Haven stehen, die sie nicht rausbekommen. Und da geht es um Menschenleben.

Ein Amerikaner, der auch bei uns im Gästehaus ist erzählte, dass er sechs Wochen braute, um 10 Kisten mit kleinen Wasseraufbereitungsgeräten, als Geschenk ins Land zu bringen.

Thema Cholera: Da merkt man überhaupt nichts. Man muss das ganz einfach aus einer anderen Sicht betrachten. Im Großraum Porto-au-Prince leben ca. 2,5 Millionen Menschen. Davon sind jetzt rund 150 gestorben. Wenn prozentual umgerechnet auf München 100 Menschen an einer doch relativ leicht zu bekämpfenden Seuche gestorben wären, ging das Leben in der Stadt sicher genau so weiter. Unser Haus ist sehr sauber. Wir haben sauberes Wasser auch zum Duschen und Zähneputzen. Letzteres kann man sogar mit Leitungswasser wie bei uns.

Ein Lichtblick: Gerade hat Max angerufen, dass alle Papiere in Ordnung sind und der Container heute noch frei werden soll! Na, dann glauben wir wieder mal an Wunder……..

liebe Grüße
Hans
2. Dezember 2010

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