Mittelamerika-Reise 2008 - 1. Bericht (Peru)
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Liebe Freunde, hab gerade
ein paar Stunden Zeit zum schreiben, da sich terminlich bei Enrique
unserem Vertreter, etwas verschoben hat und ich den Computer im Hotel
in Lima nutzen kann.
Meine Reise verlief planmaessig und ich kam puenktlich am Abend den
28. 10., in Lima an. Das war nicht selbstverstaendlich, denn in Muenchen
begann das Einchecken so spaet, dass keine Zeit mehr blieb, mir was
zu lesen zu kaufen, weil die liebe Iberia den Schalter so spaet oeffnete
und mir dadurch auch keinen Sitzplatz reservieren konnte. Ausserdem
wollten sie noch 50.- Euro fuer 3 kg Uebergepaeck, was mich fast veranlasste
meine 2 kg Schololadengeschenke wegzuwerfen. Konnte sie aber in letzter
Minute doch noch retten. In Madrid war ich dann auf Standby, obwohl
ich schon vor 8 Wochen fest buchte. Von der LAN, der Lufthansa Suedamerikas,
buchten sie mich einfach auf diese Iberia um, die ich sehr ungern
fliege, da es eine ummoegliche Linie ist.
Ohne den Flughafen in Lima zu verlassen, ging es gleich mit unserem
Serra-Vertreter noch 800 km weiter ueber die Anden, in die gut 300
000 Einwohner zaehlende peruanische "Holzhauptstadt" Pucallpa
am grossen Ucaqali-Fluss. Obwohl es noch gute 3000 km Luftlinie zur
Amazonasmuendung sind, liegt die Stadt nur 140 m ueber dem Meeresspiegel.
Ich war staendig am Schwitzen und es regnet derzeit immer wieder.
Als erstes besuchten wir die Firma von Herbert Frey, der eine Serra
Afrika fuer Staemme bis 1.6 m Durchmesser von uns kaufte. Vor 4 Wochen
wurde sie von meinem Freund Janos Kantor aus Ungarn in Betrieb genommen,
aber jetzt gibt es noch ein paar Probleme zu loesen.
Frey erzaehlte, dass seine Vorfahren im 18. Jahrhundert aus der Gegend
von Oldenburg kamen. Er spricht aber kein Deutsch mehr. Er beschaeftigt
300 Arbeiter, die den gesamten Prozess vom stehenden Baum zum fertigen
getrockneten Schnittholz verarbeiten. Derzeit werden die bis zu 2
m dicken Staemme nach Pucallpa teilweise ueber die Fluesse und teilweise
ueber abenteuerliche lehmige Strassen herangeschafft und von einer
Bandsaege mit Spannwagentechnik aufgesaegt. Die Serra steht derzeit
knapp 100 km im Urwald. Die neue Idee ist, Staemme vor Ort zu schneiden,
denn dann bleibt das ganze Abfallholz zurueck, kann im Wald verrotten
und es wird erheblich Transportgewicht eingespart. Die Saege soll
dann 400 km weiter, denn nahe der brasilianischen Grenze hat Frey
eine Einschlagkonzession von 81 000 ha auf 40 Jahre vom Staat bekommen.
Die Flaeche wird auf 20 Parzellen aufgeteilt, die im Rotationsprinzip
bewirtschftet werden. Entnommen werden 4 bis 8 Baeume pro ha und dann
darf 20 Jahr lang nichts mehr angeruehrt werden. Meines Erachtens
ist dagegen nicht viel einzuwenden, da die alten Staemme auch von
alleine umfallen wuerden. Die meisten, die ich sah, sind im Kern schon
angefault. Fuer meine Begriffe ist die Holznutzung im Wald nicht problematischer
als bei uns, denn bei dieser Methode ist das Nachhaltigkeitsprinzip
genau so wie bei uns gewahrt.
Problematisch sind die Rodungen zur Landgewinnung. Aber davon spaeter.
Wir fuhren mit einem Schrottauto, bei dem jeder deutsche TUEV die
Haende ueber dem Kopf zusammenschlagen wuerde, ueber 2 Stunden zur
Saege. Die ersten 50 km noch Asphalt und weiter diese Lehmstrassen,
wie man sie aus Fernsehberichten auch kennt. Oft sahen wir grosse
Oelpalmenplantagen, die mittlerweile oekologisch auch sehr umstritten
sind. Auch fuer sie musste der Urwald weichen. Langsam beginnt immer
mehr Urwald, unterbrochen von Rodungsinseln. Der Fahrer liess uns
aussteigen und die letzten zwei Kilometer gehen, da er Angst hatte,
auf der Lehmstrasse zu versinken. Es ist ein huegeliges Gebiet. Es
liegen viele verkohlte Staemme zwischen Grasland, Maispflanzungen
und Trockenreisfeldern. Etwa 30 afrikanische Hoeckerrinder weiden
wie auf der Alm. So aehnlich muss es vor 500 oder 1000 Jahren bei
uns auch ausgeschaut haben. Die grossen Staemme liegen oben auf einem
Huegel und warten darauf, aufgeschnitten zu werden.
Als wir schwitzend, und bereits von den ersten verschiedenen Insekten
terrorisiert, ankamen, sitzen zwei junge Leute mit einem Kleinkind
am Saegeplatz. Sie kommen von der Familie der neuen Siedler. Ich bin
voellig ueberrascht, dass sie blond und blauaeugig sind. Sie erzaehlen,
dass sie von der etwa 1000 km enfernten Colonia Tirol stammen, von
jenen 300 Tirolern und Bayern, die vor 150 Jahren ins Land gelockt
wurden, das Versprochene nicht bekamen und dann kurzerhand im Urwald
verschwanden. 150 sollen nur ueberlebt haben. Erst vor ein paar Jahrzehnten
hat man sie entdeckt. Es sind jetzt 2000 bis 3000, sie tragen noch
teilweise Tracht und pflegen die alpenlaendische Musik. Heute sind
sie bereits eine Touristenattraktion und in Peru sehr angesehen. Einer
von ihnen ist mittlerweile Umweltminister. 50 Personen (10 Familien)
sind vor 4 Jahren in diese Gegend hergezogen, weil sie ganz guenstig
Land bekamen. Diese Familie bekam 1000 ha Urwald, wovon sie 10 - 15
% roden duerfen. Die grossen Staemme wurden an Frey verkauft, alles
Kleine angezuendet.
Ich durfte sie besuchen. Sie leben total primitv in einer auf Stelzen
gestellten Holzhuette, damit die Tiere, Huehner, Enten, Schweine und
Kaelber unten durch koennen und die Essensreste verwerten. Gekocht
wird auf Holzkohlen. Sie setzten mir eine Tasse Milch und Schmalzgebaeck,
Ausgezogene, oder Hosnerl (Hasenohren), wie sie bei uns im Chiemgau
heissen, vor. Sie sind immer noch katholisch. Sie sprechen leider
kein Deutsch mehr. Der junge Mann fragt mich nach meiner Internetsadresse.
Licht am Abend kommt von einem Fotovoltaikmodul und die einzige Technik
die ich sah, war ein Gelaendemotorrad. Auch hier im Urwald prallt
alte und neue Technik voll aufeinander.
Am naechsten Tag fuhren wir nochmal den anstrengenden Weg. Ich kann
nicht verstehen, warum ein Unternehmer eine Menge Geld fuer gute Maschinen
ausgibt, aber unmotivierte Leute an die Maschine stellt. Ich glaube
die beiden "Saeger" sind Analphabeten und haben keinen Leistungsdruck,
was natuerlich den Ruf der besten Maschine nicht hochkommen laesst.
Ich fuhr mit keinem guten Gefuehl weg.
Ganz klar bezueglich Tropenwaldabholzung muss zwischen Forstwirtschaft
und Landgewinnung unterschieden werden. Erstere stellt meines Erachtens
keine grosse Gefahr dar, da sie genauso wie unsere Waldwirte wissen,
dass, wenn sie nicht nachhaltig wirtschaften, frueher oder spaeter
der Nachschub fehlt. Das Schlimme ist der Landhunger. Wobei auch hier
die kleinen Siedler mit den grossen Plantagenbetreibern nicht in einen
Topf geworfen werden sollten.
Peru ist mit 1 285 216 Quadratkilometern genau 3,6 mal so gross wie
Deutschland. Wenn man bedenkt, dass der Kuestenstreifen, 11% des Landes,
eigentlich Wueste ist und 26 % Gebirge, dann sind 53,7 % Waldanteil
(Deutschland 29 %) an der Gesamtflaeche relativ viel. 150 000 ha werden
jaehlich noch gerodet. Das enspricht einer Flaeche von 50 x 30 km
und ist in Prozent zur Gesamtflaeche des Landes "nur" 0,0011
%. Viel oder wenig? Der Landhunger der schnell wachsenden Bevoelkerung
ist gross. Die Peruaner kennen diese Problematik genauso gut, wie
wir z.B. die CO 2 Problematik des Autofahrens kennen. Aber fahren
wir dadurch weniger? Und mit welchem Recht wollen wir heute Voelkern
etwas verbieten, was wir einige hundert Jahre zuvor noch viel intensiver
betrieben? Weil wir nun genug gerodete Agrarflaeche zur Verfuegung
haben, ist es natuerlich leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen.
Ich glaub mit dem Jahrzehnte langen Tropenholzboykott haben wir genau
das erreicht, was wir nicht wollten, naemlich die Umwandlung von zu
wenig gewinnbringendem Wald zu rentableren Agrarflaechen. Vielleicht
kligt es provokant, aber: Je hoeher die Nachfrage nach Tropenholz,
desto hoeher sein Preis und desto wertvoller der Wald - und je wervoller
der Wald, desto mehr wird erhalten, um ihn nachhaltig nutzen zu koennen.
Am Wochenende war ich dann am Stadtrand von Pucallpa bei einer Posusso-Indianerfamilie.
War etwas slumaehnlich, aber sehr herzlich. Allein die Erfahrung mit
wie wenig man gluecklich sein kann und was wir alles an unnoetigen
Ballast, um vermeintlich gluecklich zu sein, brauchen, war eine gute
Erfahrung. Herzlich gelacht wird hier den ganzen Tag. Die Nacht von
Samstag auf Sonntag tranken wir Ayawaska. Der Onkel von Angel de Mori
ist 70 und Schamane. Fuer mich war es nicht besonders aufschlussreich.
Als ich ihm am Morgen einen Serra-Kugelschreiber schenkte, musste
ich ihm erst die Druckknopfbedienung lernen. Spirituell scheinbar
weiter als wir, aber technisch voellig unbedarft. Am Sonntag war ich
noch ganz schoen groggi und ruhte mich den ganzen Tag aus. Um Mitternacht
war ich dann wieder zurueck in Lima, und heute Abend geht es noch
1000 km nach Terapotto.
Liebe Gruesse
Hans Fritz |
3. November 2008
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